Unsere Stadt hat in ihrer langen Geschichte immer wieder Persönlichkeiten hervorgebracht. die weit über Spaichingen hinaus zu großem Ansehen gelangt sind. Eine von ihnen ist Generalvikar Professor Dr. Dr. August Hagen. Dass er wirklich einer der Unsrigen war und ist, verrät schon sein Name. Das Geschlecht der „Hagen“ ist so alt wie unsere Stadt selber. Bereits im Musterregister aus dem 16. Jahrhundert ist der Name „Hagen“ mehrfach erwähnt. Der Name „Hagen“ weist auf den „besitzfrohen Bauern des Mittelalters“ hin, der sein Anwesen mit einem „Hag“ versehen hat. Der Name „Hagen“ führt also in die frühe Besiedlungsgeschichte von Spaichingen zurück. Der frühere Bürgermeister unserer Stadt, Dr. Reinhard Winker, konnte anhand der Kirchenbücher für die heute lebenden Spaichinger dieses Namens einen „Ur-Hagen“ herausfinden. Im Totenregister des Jahres 1652 steht vermerkt, „dass am 24. April 1652 Pelagius Hagen fromm verstarb“, fromm deshalb, weil Pelagius mit den Sterbesakramenten der Kirche versehen gestorben war. Pelagius hatte drei Söhne. Diese pflanzten das Hagen-Geschlecht fort bis in unsere Zeit, so dass alle Hagen von heute als Nachkommen des Ur-Hagen Pelagius Hagen, der um das Jahre 1600 in Spaichingen geboren wurde, zu betrachten sind.
Auch Generalvikar Dr. Dr. August Hagen reiht sich in die Geschlechterfolge all der vielen „ Hagen’“ in Spaichingen ein. Er wurde am 10. Februar 1889, „abends 9.00 Uhr“ (so das Taufregister) geboren. Seine Eltern Franz Josef Hagen, Weber, und Franziska Hagen, geborene Schuhmacher, wohnten damals in der Vorgasse, heute Hausnummer 11, und wurden, um von den vielen anderen „Hagen“ in der Stadt unterschieden zu werden, liebevoll „Goldhägele“ genannt. Wie es zu diesem Namen kam, lässt sich heute nicht mehr feststellen, alte Spaichinger jedoch wissen noch um diesen Namen.
Am 11. Februar 1889 trugen die Eltern ihr Kind in die damals noch alte Stadtfarrkirche, um es taufen zu lassen. „Wie soll das Kind heißen?“ fragte Vikar Hütter, der im Auftrag des Stadtpfarrers Michael Munz die Taufe spendete, und die Eltern gaben dem Kind den Namen August, denn so hieß der noch lebende Großvater, ein Baumwollweber, der am 22. Oktober 1900 in Spaichingen gestorben ist.
August war das zweite Kind der Eheleute Franz Josef und Franziska Hagen. Sie hatten am 3. August 1886 in Spaichingen geheiratet. Ihnen waren sechs Kinder geschenkt. Dass ihr zweiter Sohn August einmal ein bedeutender Theologe und Wissenschaftler werden wird, konnten sie nicht erahnen. Doch durften sie am 22. Juli 1914 die Priesterweihe ihres Sohnes noch erleben. Die Promotionen zum Dr. sc.pol. und Dr. theol. hat wohl nur noch der Vater erlebt. Er starb am 7. Juli 1927 an Magenkrebs. Die Mutter Franziska hingegen erlag bereits 1921 einer Herzschwäche. Der Aufstieg des Sohnes zum Privatdozenten und Universitätsprofessor in den Jahren 1930 und 1935 erlebten beide Eltern nicht mehr.
Nicht nur August wurde Priester, sondern auch sein Bruder Josef, am 10. Juni 1896 in Spaichingen geboren, ging den Weg eines Geistlichen. Er feierte am 11. August 1920 seine Primiz, wurde jedoch nicht Weltgeistlicher, sondern Franziskanerpater. Pater Josef war Zwillingsbruder der Schwester Katharina.
Sie wurde Nonne im Kloster Strahlfeld. Das Sonntagsblatt Nr. 5 aus dem Jahre 1963 bemerkt zur Herkunft von August Hagen: „Auf dem Heuberg gedeihen besondere Schwaben, aber solche von der besten Sorte“, solche mit einer „rauen Schale“, doch mit einem „warmen priesterlichen Herz“. August Hagen wollte jedoch nicht als „Heuberger“ gelten. Jedem, der ihn so nannte, sagte er unverblümt: „Ich bin am Fuße des Heubergs geboren.“
August Hagen besuchte zunächst das Rottenburger Progymnasium, um von dort in das Bischöfliche Konvikt nach Rottweil zu wechseln. Als Student der Katholischen Theologie wohnte er vier Jahre lang im Wilhelmstift in Tübingen. Hier erwachte sein Forscherdrang und begann sein schriftstellerisches Wirken. Nach der Priesterweihe am 22.Juli 1914 schickte Bischof Paul Wilhelm Keppler den jungen Vikar August Hagen zunächst nach Esslingen. Vikar Hagen war mit Leib und Seele Seelsorger und fand in Dekan Hirsch einen einfühlsamen Förderer.
August Hagen blieb trotz der vielen Aufgaben in der Diasporagemeinde der leidenschaftliche Forscher und Schriftsteller. Nach acht Jahren berief der Bischof ihn ins Wilhelmstift nach Tübingen. Als Repetent stand er nunmehr in enger Verbindung zur theologischen Fakultät und begann hier seine Karriere als bedeutender Wissenschaftler. Mit einer staatswissenschaftlichen Arbeit zum Thema „Papsttum und Friedensstiftung seit dem Jahre 1870“ wurde August Hagen mit der Note „summa cum laude“ ( „mit höchstem Lob“) 1925 zum Doktor der politischen Wissenschaften (Dr. sc. pol) promoviert. Drei Jahre später legte er Studien über das Thema „Katholische Kirche in Württemberg von 1848 - 1862“ vor und erlangte daraufhin 1928 den Doktor der Theologie. August Hagen hatte damit seine wissenschaftliche Befähigung eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Im Jahre 1930 erhält Dr. Dr. August Hagen, nachdem er mit seiner Arbeit „Der Mischehenstreit in Württemberg 1837 - 1855“ an der Universität Tübingen habilitiert worden war, die „Lehrberechtigung für katholisches Kirchenrecht“. Im Jahre 1935 erreicht den Dozenten Dr. Dr. August Hagen der ehrenvolle Ruf auf den kirchenrechtlichen Lehrstuhl der Katholischen Fakultät der Universität Würzburg. Mit Beginn des Wintersemesters 1935/36 begann er seine Tätigkeit als Professor der Universität Würzburg im Dienste des Freistaates Bayern. „Kirchliches Prozess- und Strafrecht“ (4 St.) „Eherechtliche Fragen. Besprechungsstunde (1 St.) „Kirchenrechtliches Seminar“ ( 1St.), so lautete die Lehrankündigung von Professor Dr. Dr. Hagen im Vorlesungsverzeichnis der Universität 1935/1936 . Hagen hat aushilfsweise auch an der Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät Vorlesungen gehalten, vor allem in der Zeit nach dem Krieg und dem Niedergang der Universität.
Bis zum Jahre 1947 ist August Hagen Universitätsprofessor in Würzburg. Mit dem Sommerhalbjahr 1947, wo er über „Kirchenrecht“ eine zweistündige Vorlesung hält, endet seine Tätigkeit als Universitätsprofessor und Lehrstuhlinhaber für Kirchenrecht in Würzburg. Stephan Haering würdigt in seiner Arbeit mit der Überschrift „August Hagen (1889 - 1963) Professor des Kirchenrechts in Würzburg (1935 - 1947) - Ein Schwabe an der Alma Julia“ den Gelehrten aus Spaichingen. Haering schreibt: „Als Ergebnis über Hagens Forschungs- und Publikationstätigkeit während seiner Würzburger Zeit kann man zunächst festhalten, dass Hagen zweifellos ein fleißiger Forscher und Autor war. August Hagen zeigt sich aber nicht nur als ein produktiver, sondern auch respektierter Forscher und Autor Die Besprechungen der Arbeiten sind durchwegs anerkennend.“ (a.a.O. S. 192) Sein monumentales Werk, die dreibändige „Geschichte der Diözese Rottenburg“ gilt in Fachkreisen immer noch als Standardwerk, dem bis heute nichts Vergleichbares gefolgt ist. „Gestalten aus dem schwäbischen Katholizismus“ ist das andere große wissenschaftliche Werk August Hagens, auf vier Bände angelegt und in manchen Spaichinger Familien nicht unbekannt.
Im ersten Band beschreibt Hagen unter mehreren schwäbischen Gestalten auch die des Theologen und Pfarrers Wenzeslaus Mattes (1815 - 1886), der aus Renquishausen auf dem Heuberg stammte. „Überdies neigt Mattes sehr zu scharfen Urteilen. Er ist eben ein Heuberger, der sich nicht scheut, das Schlechte wirklich schlecht zu nennen“ (a.a.O. S.262), schreibt August Hagen über seinen Landsmann, um dann sein Urteil über den Mitbruder vom Heuberg und uns Menschen ganz allgemein folgendermaßen zu formulieren: „Bekanntlich sind viele Menschen geneigt, eher an das Schlechte als an das Gute zu glauben. Verkünde das Gute - und es wird vergessen werden. Sage über andere Schlechtes aus - und es wird im Gedächtnis haften bleiben.“ (a.a.O. s. 266)
Andere wissenschaftliche Werke wären noch zu nennen: so die Arbeit über „Die kirchliche Aufklärung in der Diözese Rottenburg“ und die Arbeit mit dem Titel „Der Reformkatholizismus in der Diözese Rottenburg (1902 - 1920)“. Fachgelehrte bewunderten bei August Hagen seinen leidenschaftlichen Forscherdrang, seinen Sammlerfleiß, ganz besonders aber seine wissenschaftliche Genauigkeit und sein klares Urteil. Dabei wirken seine Werke auf den Leser nicht abgehoben. Sein Wirken ist stets auf das Menschlich-Persönliche hingerichtet, in der Wissenschaft nicht weniger als in der Seelsorge.
Was bewog nun im Jahre 1947 den erfolgreichen und von den Studenten geschätzten Universitätsprofessor und weithin bekannten Buchautor Dr. Dr. August Hagen aus Spaichingen, die glanzvolle Karriere eines Wissenschaftlers in Würzburg zu beenden und in die heimatliche Diözese zurückzukehren?- Diese Frage lässt sich nur andeutungsweise beantworten. Die Antwort bleibt im Letzten für immer das Geheimnis von August Hagen selber. Doch soviel ist aus seinem Leben in Würzburg bekannt: August Hagen hat in den letzten Monaten des Krieges in dieser Stadt grausame Schicksalsschläge erdulden müssen: Bei einem Bombenangriff auf diese Stadt verlor August Hagen seine ganze Habe. Er hatte nur noch das, was er auf seinem Leibe trug. Ein Mitbruder schenkte dem nun mittellos gewordenen Professor in Würzburg einen Mantel, ein Bürger aus Poltringen schickte seinem ehemaligen Pfarrer Dr. Hagen seinen schwarzen Hochzeitsanzug. Viel mehr schmerzte den Forscher und Lehrer August Hagen jedoch der Verlust all seiner Vorlesungsmanuskripte und aller seiner Bücher. Er stand buchstäblich vor dem Nichts.
Doch nicht genug. Seine über alles geliebte Schwester Marie, die ihm über viele Jahre den Haushalt führte, erkrankte bereits zu Kriegsbeginn 1939. In einem Brief aus dieser Zeit schreibt August Hagen: „Dass es meiner Schwester wieder ordentlich geht, freut mich. Was soll ich mit einem Hauswesen anfangen, wo der weibliche leitende Geist fehlt? Wenn man eine leibliche Schwester hat, kann man ihr alles anvertrauen und überlassen - das ist unendlich viel wert.“ Fünf Jahre später heißt es dann in einem Brief: „ Das Befinden meiner Schwester scheint befriedigend. Die schwere Arbeit suche ich ihr nach Möglichkeit abzunehmen und schleppe nun selbst die Kohleneimer vom Keller herauf. Es ist für mich eine gute Abwechslung gegenüber meiner geistigen Arbeit und sitzenden Lebensweise. Man kann es auch als Ersatz für moderne Zimmergymnastik ansehen.“ Doch der Zustand der geliebten Schwester verschlechterte sich. Kurze Zeit nach dem Bombenangriff starb sie. Sie wurde in Vierzehnheiligen, wo der jüngere Bruder als Guardian im Franziskanerkloster wirkte, beerdigt.
In dieser traurigen Lebenslage erreicht August Hagen im Jahre 1947 der Ruf von Bischof Dr. Johannes Baptista Sproll ins Domkapitel des Bistums Rottenburg. Vier Tage nach dem Eingang des Schreibens aus Rottenburg nimmt Professor Dr. Dr. Hagen den Ruf ins neue Amt an. In Rottenburg ist man begeistert. Weihbischof Franz Josef Fischer schreibt am 14. Juli einen Gratulationsbrief an Hagen: „Herzlichen Dank, dass Sie die von hier einstimmig gewünschte Berufung in das Domkapitel hierher angenommen haben. Wir freuen uns auf Ihr Kommen.“ Domkapitular Anton Hinterberger teilt dem neuen Domkapitular mit: „Du wirst bei uns allgemein mit offenen Armen aufgenommen und wir wollen gewiss brüderlich zusammenarbeiten. Sei so gut und mach Dich dort frei, so bald es möglich ist!“ Bischof Sproll ernennt am 24. Juni 1947 August Hagen zum Domkapitular. Der Bischof gibt seinem neuen Mitarbeiter, der noch keine Wohnung hat, in seinem Palais ein Zimmer. Am 13. April 1948 ernennt Bischof Sproll seinen neuen Mitarbeiter zum Generalvikar. Damit wurde August Hagen Stellvertreter des Bischofs in der Verwaltung der Diözese, ausgestattet mit der gleichen Entscheidungsvollmacht wie der Bischof selber, jedoch mit der Einschränkung, die Entscheidungsbefugnis im Einvernehmen mit dem Bischof wahrzunehmen. Der Generalvikar steht somit in einem besonders engen Vertrauensverhältnis zu seinem Bischof, der ihn aus freien Stücken ernennt und entlässt.
Mit dem Amt des Bischofs erlischt auch das seines Generalvikars. Am 4, März 1949 starb Bischof Dr. Johannes Baptista Sproll. Sein Nachfolger Dr. Carl Joseph Leiprecht ernennt August Hagen am 23. Juli 1949 erneut zum Generalvikar. Welche Pflichten hat an diesem Tage der sechzigjährige August Hagen aus Spaichingen auf sich genommen? Als Generalvikar nimmt er den Vorsitz im Diözesanverwaltungsrat wahr. Er ist für die kirchliche Organisation der Diözese zuständig und entscheidet über die Errichtung und Änderungen von kirchlichen Stellen. Dem Generalvikar ist die Bildung der Geistlichen anvertraut, insbesondere deren theologische Prüfungen an der Universität. Der Generalvikar ist schließlich Herr über das kirchliche Finanzwesen und in diesem Zusammenhang vor allem zuständig in Kirchenbaufragen.
Generalvikar Dr. Dr. August Hagen vollbringt in den Jahren 1949 - 1960 in der Diözese Rottenburg Großartiges. Mit seelsorgerlichem Eifer kümmert er sich um die 350 000 Heimatvertriebenen, die nach dem Krieg in die Diözese gekommen waren. Man erzählt, wie er über Stock und Stein gefahren sei, um für die Gläubigen in der Diaspora Bauplätze für neue Kirchen ausfindig zu machen. Und er baute Kirchen, wo immer sie fehlten, richtete Gottesdiensträume ein, damit die neu in die Diözese gekommenen Menschen ein seelisches Zuhause fanden. Generalvikar Hagen hat in den zehn Jahren seines Wirkens etwa 200 Kirchen und Kapellen gebaut, so dass seine Diözese damit den ersten Platz unter den deutschen Bistümern einnahm.
Die Zahl der Katholiken im Bistum Rottenburg hat sich unter Generalvikar Hagen nahezu verdoppelt. Im nördlichen Bereich Württembergs sind damals viele Diasporagemeinden entstanden. Der große Wissenschaftler erwies sich als Generalvikar als zupackender Praktiker. Man würde aber seiner Person nicht gerecht, würde man in ihm nur den Wissenschaftler und Verwaltungsfachmann erkennen.
Seit seiner Priesterweihe am 22. Juli 1914 blieb August Hagen bis zu seinem Tod am 27. Januar 1963 im Innersten seines Herzens Priester und Seelsorger. Der junge Repetent Dr. Dr. August Hagen war neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit in Tübingen vom 22. Juli 1928, dem 14. Jahrestag seiner Priesterweihe, bis zum 3. März 1936 Pfarrer der Gemeinde Poltringen, unweit von Tübingen. Hingebungsvoll nahm er sieben Jahre lang bis zu seiner Berufung nach Würzburg 1935 die seelsorgerlichen Pflichten eines Ortspfarrers wahr. Mit geringen finanziellen Mitteln baute er in seiner Gemeinde zwei Kirchen aus, eine Sonntags- und eine Werktagskirche, schuf einen Kindergarten und war sehr darauf bedacht, dass bauliche Mängel an kirchlichen Gebäuden möglichst schnell behoben wurden.
Das Dritte Reich und mit ihm die nationalsozialistische Weltanschauung hatten in Deutschland Fuß gefasst. Pfarrer Dr. Dr. August Hagen erkannte die Zeichen der Zeit und machte schon 1930 aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber der NS-Ideologie keinen Hehl. Er hielt in seiner Gemeinde „Glaubenspredigten, weil ich sah, dass der Glaube gefährdet war“, so in seiner Abschiedspredigt in seiner Gemeinde im Jahre 1936. Seine geistlichen Unterweisungen waren, so bezeugen damalige Christen seiner Gemeinde, stets „praxisbezogen“. Berufsfragen, Fragen des Ehe- und Familienlebens standen im Mittelpunkt seines seelsorgerlichen Wirkens.
In zahllosen Beichtgesprächen ermunterte er seine Pfarrkinder zu redlicher Selbsterkenntnis und leitete sie zu verantwortungsvoller Lebensführung an. Auch hier blieb der Wissenschaftler Seelsorger und den Menschen von Herzen zugetan. Er erging sich nicht in abgehobenen, in für viele unverständlichen frommen Sprüchen, sondern blieb auch in der Verkündigung anschaulich und wirklichkeitsnah. So stellte er seinen Pfarrkindern immer wieder Heilige vor Augen, tat dies jedoch keineswegs sentimental, sondern glaubensnah. In einem Brief an die Gemeinde erinnert er seine Pfarrkindern an den Christusträger Christophorus. „Wie dieser Christophorus das Kind auf seinen Schultern trägt, müsst auch ihr ein lebendiges Christentum im Herzen bewahren und durch die Fluten der gegenwärtigen Zeit tragen.“
Kein Wunder, dass dieser Pfarrer Dr. Dr. August Hagen mit der NS-Partei in Konflikt geriet. Im Jahre 1934 erschienen zwei junge Leute der Partei, einer vor ihnen sogar in SS-Uniform, vor seinem Pfarrhaus. Der Pfarrer sollte für die gleichgeschaltete Tübinger Zeitung angeworben werden, was er rundweg ablehnte. „Notieren Se diesen Mann als verdächtig!“ befahl der SS-Mann seinem Begleiter. Sie zeigten den Pfarrer beim Landrat und beim Kreisleiter der Partei an. Es kam zu einer Verhandlung, die aber August Hagen wortgewandt für sich entscheiden konnte.
Auch als Universitätsprofessor in Würzburg blieb August Hagen seinem Priesterberuf treu. Er half in der Seelsorge aus, wo immer man ihn brauchte. In Rottenburg ahm er sich ganz besonders der künftigen Priester im Priesterseminar an. Jeden Morgen, so erzählten Rottenburger, sah man eine dunkle Gestalt über den Vorplatz der Domkirche schreiten, die plötzlich in einer Seitengasse verschwand und dem Priesterseminar zueilte. „Wie ein väterlicher Freund kam er zu uns, um Gottesdienst mit uns zu halten“, berichtet ein Pfarrer, der 1952 die Priesterweihe empfing. Der Generalvikar wusste, dass Seelsorge nur gedeihen kann, wenn gut ausgebildete Priester sie wahrnehmen. Er schuf daher ein „Mitteilungsblatt“ für alle Geistlichen, um ihnen auf diesem Wege in ihrer Arbeit mit Rat und Tat beizustehen. Wie sehr der Generalvikar im Innersten seines Herzens stets Seelsorger geblieben ist, zeigt sich daran, dass er nicht nur die künftigen Priester im Priesterseminar, sondern auch die Gefangenen im Rottenburger Gefängnis besucht hat. Nur ganz wenige wussten davon, dass der Generalvikar vor Weihnachten und vor Ostern im Gefängnis die Beichte abnahm und die Gefangenen tröstete.
„Ehrungen sind eine Altererscheinung“, gab August Hagen zu verstehen, er hielt nicht viel davon. Doch sein Bischof Dr. Carl Joseph Leiprecht wusste, was er an seinem Generalvikar hatte, und richtete anlässlich des 70. Geburtstags von August Hagen am 16. Februar 1959 in Rottenburg eine „Akademische Feierstunde“ aus. Über 100 Festgäste waren geladen, hohe Würdenträger, ganz besonders viele Professoren der theologischen Fakultäten aus Tübingen und Würzburg. Mit festlicher Musik des Kammerorchesters aus Stuttgart begann die Feier. Um den ehemaligen Professor für Kirchenrecht besonders zu ehren, wurden von Fachkollegen drei wissenschaftliche Referate gehalten. Schließlich trat Ministerpräsident Dr. Kurt Georg Kiesinger ans Rednerpult. Mit humorvollen Worten wandte er sich dem Jubilar mit großer Herzlichkeit zu und überreichte ihm im Auftrag des Bundespräsidenten das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Am Ende der Feierlichkeit ergriff der Jubilar selber das Wort und sprach sinngemäß etwa so: „Was die Feier meines 70. Geburtstages anbelangt, so sind in dieser Stunde meine schlimmsten Befürchtungen in Erfüllung gegangen. Zwei Drittel von allem, was da soeben über mich gesagt wurde, ist ersatzlos zu streichen“... und dann wurde der Jubilar ganz persönlich: „Ich danke meinen Eltern, meinem guten und so berufstüchtigen Vater, meiner lieben, frommen Mutter, meinen Geschwistern und allen, die mir im Leben beigestanden sind.“
Der vom Bischof bestellte Redner glaubte bei allem Lob für den Generalvikar „ein Minus“ in seinem Leben ausmachen zu müssen. Um was ging es da? Papst Pius XII hatte am 1. Februar 1952 Generalvikar Dr. Dr. August Hagen zum „Apostolischen Protonotar“ ernannt. Diese Ehrung kam ursprünglich den höher gestellten Prälaten der Apostolischen Kanzlei zu. Der Apostolische Protonotar zeichnet sich von anderen Prälaten dadurch aus, dass er vom Papst Mitra, Ring und Brustkreuz verliehen bekommt und wie ein Bischof Pontifikalgottesdienste halten darf. Darauf verzichtete der vom Papst Geehrte. Dem Redner, der dem Generalvikar deshalb „ein Minus“ erteilte, sagte er schlicht und ergreifend: „Wissen Sie, Papst Pius XII hat mir zwar die Mitra verliehen, nicht aber die Gabe des Gesangs.“
Am 1. Januar 1960 trat Generalvikar Dr. Dr. August Hagen in den Ruhestand. Dekan Wieland notierte in der Pfarrchronik unserer Gemeinde: „Am 23. Februar ist Generalvikar Dr. Hagen nach seiner Zur-Ruhe-Setzung in das Hofener Kaplaneihaus eingezogen. Er zelebriert täglich in der St. Josefskirche und lebt seinen Studien und Forschungen. Am 1. April wurde wieder ein Spaichinger Generalvikar in Rottenburg:Dr. Karl Knaupp.“
Im Januar 1963 erlitt Generalvikar Hagen einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Im Testament hatte er bereits verfügt, bei seinem Ableben „kein Geschrei“ um ihn zu machen. Als er am 27. Januar die Augen für immer geschlossen hatte, wurde in der Stadt auf Halbmast geflaggt. Der Tote wurde im offenen Sarg auf den Altarstufen der Stadtpfarrkirche aufgebart. Zahllose Menschen nahmen von dem Verstorbenen Abschied. Am 30. Januar versammelte sich das ganze Domkapitel um den Sarg des toten Generalvikars. Bischof Dr. Carl Joseph Leiprecht hielt das Totenrequiem. Generalvikar Dr. Karl Knaupp sprach den Nachruf auf seinen Vorgänger im Amt. Alumnen des Priesterseminars trugen den Sarg. Die Stadtkapelle und der Kirchenchor würdigten den Toten mit ergreifender Trauermusik. Domdekan Hinderberger nahm am Grab die Einsegnung vor. Generalvikar Dr. Dr. August Hagen fand seine letzte Ruhestätte unmittelbar bei der Lourdesgrotte neben seinem in langer Freundschaft verbundenen Mitbruder Dekan Ernst Sorg. Der „August-Hagen-Weg“ erinnert heute noch an den großen Sohn unserer Stadt - August Hagen.
Fritz Mattes, November 2010
Quellen:
Diözesanarchiv in Rottenburg, Personalakte August Hagen
Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter, 69. Band, Sonderdruck 2007
Hier: Stephan Haering: August Hagen (1889 - 1963) als Professor des Kirchenrechts ( S. 175 - 204)
Pfarrarchiv der Pfarrei St. Peter und Paul, Spaichingen